21. Islamisches Lager, Hasliberg (BE), 2011

Über 120 Musliminnen und Muslime nahmen am diesjährigen Lager, das vom 24.-26. Juni 2011 stattfand und sich durch ein vielfältiges Programm auszeichnete, teil.

Bericht von Hamit Duran, Turgi

AussichtDer Freitagabend begann mit einem sehr nachdenklich stimmenden Beitrag. «Direkt auf den Müll», so lautet der Titel eines ARD-Films vom Oktober 2010, der in eindrücklicher Weise darauf aufmerksam macht, dass die heutige Konsumgesellschaft unvorstellbare Mengen von «Müll» produziert; Müll, der aus Lebensmitteln besteht, die noch einwandfrei geniessbar sind. Ein Filialleiter einer grossen Handelskette wird dabei mit der Aussage zitiert, dass früher hungrige Menschen satt gemacht werden mussten, heute aber müssen satte Menschen (durch die Industrie) hungrig gemacht werden (damit sie mehr konsumieren).

Es ist leider eine Tatsache, dass Obst und Gemüse mit einer zu grossen oder zu kleinen Form, einer zu hellen oder zu dunklen Farbe, kleinen Flecken etc. einfach nicht mehr gekauft werden. Die Normierungswut der EU hat das Ihrige dazu beigetragen. Auch das Ablaufdatum auf Produkten, das gesetzlich vorgeschrieben ist, wird durch die Industrie willkürlich festgelegt. Und so wandern auch Joghurts, Konserven etc, auf den Müll, obwohl sie noch weiteres geniessbar wären.

Der Film zeigt auch einige Ansatzpunkte auf, wie diesem Dilemma begegnet werden kann und was jeder Einzelne dazu beitragen kann. Der Film kann hier direkt angesehen werden: web.ard.de/themenwoche_2010/?p=1486

Sunna im Alltag

Der Samstagmorgen begann mit einem Beitrag von Abdurrahman Reidegeld, dem Hauptreferent am diesjährigen Lager, zum Thema «Sunna im Alltag».

ZuhoererDie Sunna ist wichtig, es ist aber nicht möglich, immer die ganze Sunna umzusetzen. Das Ganze sollte ein abgerundetes Bild ergeben, das in sich stimmig ist. Es empfiehlt sich daher, nur Teile der Sunna zu praktizieren, die im persönlichen Alltag auch wirklich umsetzbar sind. Manche Dinge können in unserem Umfeld aber schlicht nicht praktiziert werden, z.B. das Bestreichen der Ferse mit dem Fett, das allenfalls nach dem Essen noch an den Fingern klebt. In der damaligen Zeit gab es keine Cremes etc. mit der Aufreissen der Haut verhindert werden konnte, so dass man das einzig verfügbare Fett verwendete. Eine wortwörtliche Umsetzung ist also nicht möglich, sondern eine sinngemässe Umsetzung, die mit dem heutigen Alltag vereinbar ist, ist gefragt.

Im Anschluss an den Vortrag wurde wieder ein Postenlauf durchgeführt, bei dem es um Islam und Musik, Feuer entfachen und Bearbeitung von Holz ging.

Kalligrafie-Workshop und Ammar114

KalligrafieNach dem Mittagessen und dem Mittagsgebet stand neben den traditionellen Ausflügen in die Berge auch ein Kalligrafie-Workshop mit Abdurrahman Reidegeld auf dem Programm. Mit Schreibfedern (Kalam), die Reidegeld eigenhändig aus handelsüblichem Bambusrohr geschnitzt hatte und spezieller Kalligrafie-Tinte durften die Teilnehmerinnen und Teilnehmer an der Oberfläche die Kalligrafiekunst kratzen. Begriffe wie «singender Kalam», unterschiedliche Winkel für unterschiedliche Schriftarten, Punkte in Form von Rhomben etc. bekamen plötzlich eine praktische und erfahrbare Bedeutung.

Während und nach dem Workshop gab es Gelegenheit, die Umgebung durch Wanderungen zu erkunden. Einige benutzen z.B. die Gondelbahn, um auf die auf rund 1700 m Höhe liegende Mägisalp zu gelangen und von dort ein Trotti-Bike zu mieten. In rasanter Fahrt auf kurvenreicher Strecke erreichte man das ca. 500 m tiefer gelegene Bidmi, von wo es dann mit der Gondelbahn zurück nach Hasliberg ging.

Ein Highlight für die Jugendlichen und jung gebliebenen Erwachsenen war sicherlich die Anwesenheit des bekannten muslimischen Rappers Ammar114 (http://www.ammar114.de). Gross und Klein hatten reichlich Gelegenheit, in ungezwungener Atmosphäre mit ihm zu diskutieren, ihm Fragen zu stellen und mit zusammen zu rappen. Am Abend versammelten sie sich sogar um ein selber angezündetes Lagerfeuer, das zuvor den Kindern zum Backen von Schlangenbrot gedient hatte, um den Tage gemeinsam mit ihm ausklingen zu lassen.

Nach dem Nachtessen und dem Abendgebet war dann der letzte Programmpunkt angesagt. Ein Seminar von Abdurrahman Reidegeld zum Thema «Hikma-t-Ullah» (die Weisheit Allahs).

Das arabische Wort Hikma wird meistens mit Weisheit übersetzt. Damit ist beim Menschen in der Regel eine Kombination von Dingen gemeint. Neben Wissen und Erfahrung gehört zur Weisheit noch eine umfassende Menschenkenntnis und das Wissen, wie man Menschen Dinge vermitteln kann.

Zum Thema Wissen bemerkte Reidegeld, dass das Wissen vieler Menschen bezüglich der Menschheit sehr sehr beschränkt ist. Kaum einer weiss etwas über die Generation der Urgrosseltern. Unser Wissen beschränkt sich in der Regel auf die Generation der Grosseltern, also maximal 3 bis 4 Genrationen.

Die Hikma Allahs zeigt sich jedoch in der Balance zwischen Gut und Böse auf dieser Welt. So wissen wir, dass es Dinge, die uns schlecht erscheinen und in Wirklichkeit gut sind. Aber es gibt auch Dinge, die uns gut erscheinen, in Wirklichkeit aber schlecht sind.

Was haben Keilschriften mit dem Islam zu tun?

ReidegeldNach dem Frühstück am Sonntagmorgen stand dann der letzte Vortrag von Abdurrahman Reidegeld zum Thema «Keilschriften und die Existenz von Nûh (a.s.) und anderer Propheten» auf dem Programm.

Der Qur’ân ist wortwörtlich offenbart und gehört nicht, wie manche andere Offenbarungsschriften, in die Nähe der Mythen. Zum Beispiel kann nachgewiesen werden, dass die im Qur’ân erwähnten Propheten auch wirklich gelebt haben. Aber wie?

Dazu muss man wissen, dass die Existenz eines Menschen auf folgende Arten bewiesen werden kann:

  • Durch Zeitzeugen
  • Durch archäologische Überreste
  • Durch etwas Niedergeschriebenes

In der Bibel wird beispielsweise erwähnt, dass Ibrahim (a.a.) Kamele als Haustiere hatte. Da Kamele aber erst ca. 700 vor Christus als Haustiere gehalten und Ibrahim ca. 1200 Jahre davor gelebt hat, kann dies nicht stimmen. Offenbar wurden die entsprechenden Stellen in der Bibel zur späteren Zeit aufgeschrieben, so dass klar ist, dass dies nicht durch Zeitzeugen geschah.

Archäologische Überreste kommen nicht in Betracht als Nachweis für Propheten, da diese in der Regel nichts Grosses besassen oder gebaut haben.

Keilschriften sind seit ca. 5000 v.Chr. bekannt. Diese Schriften sind bis heue erhalten geblieben, da sie nicht auf Papyrus oder dergleichen sondern auf Tontafeln niedergeschrieben wurden. Pro Jahr werden heute zwischen 100’000 und 150’000 Texte in Keilschrift entdeckt. Diese Texte können auch vokalisiert werden, da die Aussprache durch entsprechende Lexika überliefert wurde (die Schriften bestanden wie das Arabische in der Regel nur aus Konsonanten).

Die altarabische Sprache geht auf das Jahr 0 bis 1 zurück, die arabische Schrift tritt aber erst Mitte des 5. Jahrhunderts auf. Daher taugt die arabische Schrift nicht für die historische Erforschung des Propheten (a.s.). Beispielsweise gibt es 4 grosse Texte zur Sintflut, die ältesten sind weit über 5000 Jahre alt. Dort werden die Texte der Bibel bereits wortwörtlich erwähnt.

Die Keilschrift zu erlernen ist jedoch nicht ganz einfach, in der Komplexität in etwa mit dem Japanischen zu vergleichen. Es wird Zeit, dass sich Muslime dafür interessieren und beginnen, historische Tatsachen zu erforschen und zu belegen, Dazu ist das Erlernen der Keilschrift aber unumgänglich.

Der Abschluss des diesjährigen Lagers bildete das Referat von Mustaf Al-Aswad von Islamic Relief. Er zeigte zunächst einen Rückblick auf die Aktivitäten des Jahres 2010 und stellte danach die Projekte des laufenden Jahres 2011 vor. Dabei wird neben den Unruhegebieten in nordafrikanischen und arabischen Ländern das afrikanische Land Niger im Mittelpunkt stehen. Hier ein paar Eckdaten dazu:

  • 63% der Bevölkerung ist arm
  • 26% der Kinder sterben vor ihrem 5. Geburtstag
  • Über 50% der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Trinkwasser.
  • 7 Millionen Menschen leiden an Unterernährung (20% an akuter Unterernährung)
  • Das Land hat keinen Zugang zum Meer, 2/3 des Gebietes ist Wüste
  • Es herrscht chronische Dürre
  • Häufige Heuschreckinvasionen è regelmässige Nahrungsmittelkrisen

Islamic Relief möchte nun durch gezielte Aktionen den Menschen helfen, dass sie ihre Landwirtschaft und den Handel ankurbeln können. Dazu gehören u.a.:

  • Verbesserung des Wasserversorgungssystems für 5 Hektaren Land
  • Bohrung von 2 Brunnen für Gärten
  • Bohrung von 2 Brunnen für die Bewässerung
  • Installation von 2 Wasserhandpumpen

Wer dies aktiv unterstützen und noch mehr über Projekte von Islamic Relief erfahren möchte, kann deren Webseite besuchen: www.islamic-relief.ch/irv19/sommaire.de.php3

Damit war auch der Kreis zum Beginn des Lagers, wo über die Verschwendung der modernen Konsumgesellschaft thematisiert wurde, geschlossen. Nach dem Mittagessen, dem Gebet und dem anschliessenden Aufräumen und Putzen ging das 21. Islamische Lager zu Ende.

Im Grossen und Ganzen kann eine sehr positive Bilanz gezogen werden. Hervorragenden Referenten und eine gute Infrastruktur trugen wesentlich zum Gelingen bei. Ein Wermutstropfen für die Organisatoren war aber, dass einige Teilnehmer trotz mehrmaliger Aufforderung ihre Zimmer nicht aufgeräumt und gesäubert hatten, so dass noch einige Zusatzarbeit geleistet werden musste.

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