Yaşar Sarıkaya, Martin Rothgangel, Déborah Kathleen Grün, Mehmet Soyhun (Hrsg.): Hadithdidaktik im Diskurs

von Hamit Duran, Turgi, im Juni 2023

Die islamische Religionspädagogik ist eine relative junge Disziplin in Europa. Dabei bilden Qur’an und Hadith die Grundlage vieler Studiengänge im Bereich der islamischen Theologie, Religionspädagogik sowie Seelsorge- und Sozialarbeit. Gemäss den Herausgebern des vorliegenden Sammelbandes bildet die Didaktik der Schriftquellen des Islams, Qur’an und Hadith, ein Forschungsdesiderat, also einen Bereich, der weiterer Forschung bedarf. Dazu gehört insbesondere die Frage, wie sich das reichhaltige Hadith-Überlieferungsmaterial in heutigen islambezogenen Lehr- und Lernprozessen erschliessen lässt. Ziel und Zweck der Herausgeber war es daher, einen breiteren fachwissenschaftlichen und fachdidaktischen Diskurs anzustossen.

Ausgangspunkt für diesen Diskurs bilden die zehn Thesen für ein neues Lehren und Lernen, welche Yaşar Sarıkaya in seiner Monographie «Hadith und Hadithdidaktik. Eine Einführung» (2021) vorstellt. Diese werden in der Einführung des vorliegenden Sammelbandes kurz vorgestellt. Sie betreffen Themengebiete wie pädagogisches Potential, Übersetzung und Auslegung, hadithbasiertes Lernen und die Einbindung von modernen digitalen Medien. Verschiedene Autorinnen und Autoren wurden eingeladen, sich mit zustimmenden, ergänzenden oder auch widersprechenden Gedanken und Perspektiven zu diesen Thesen zu äussern.

Entstanden ist ein hochinteressanter Sammelband, dessen verschiedene Beiträge in folgende Rubriken unterteilt wurden:

  • Grundlegende Impulse für die Hadithdidaktik
  • Didaktische Impulse für Hadithe im islamischen Religionsunterricht
  • Weiterführende Perspektiven der Hadithdidaktik

Entsprechend ist der Sammelband auch in diese drei Hauptkapitel unterteilt und durch eine als «Hinführung» bezeichnete Einführung und durch eine Zusammenfassung ergänzt.

Im ersten Teil «Grundlegende Impulse für die Hadithdidaktik» beleuchten verschiedene Autoren die Stellung des Hadith als fundamentale Quelle des Islams neben dem Qur’an, dem offenbarten Wort Gottes.

Sanseverino weist in seinem Beitrag auf einen grundlegenden Unterschied des Hadith gegenüber dem Qur’an hin: der Hadtihtext bildet eine Einheit von Geschehen und Erzählung. Der Autor analysiert dazu die klassische Form des Hadith, die aus drei Teilen besteht: einem expliziten Zeugnis, der Benennung des Zeugen oder der Zeugin und der Beschreibung des Geschehens über welches Zeugnis abgelegt wird. Ein Hadith ist in seinen Augen kein Beweis für eine Norm oder Praxis, sondern eben nur das Bezeugen einer Begebenheit. Daher könne die Didaktik eines Zeugnisses nicht die gleiche sein, wie die Didaktik einer anderen Textform.

Gharbieh stellt in seinem Beitrag fest, dass die berühmten Hadithsammlungen keiner inneren Logik folgten, sondern als Gesamtwerk konzipiert wurden, um ein bestimmtes theologisches Statement abzugeben. Er weist auch darauf hin, dass es eine enge Verknüpfung zwischen der Überlieferungsgeschichte des Hadith und der sunnitischen Glaubensgemeinschaft gibt. Hadithe wurden in diesem Sinne benutzt, um deren Autorität zu untermauern.

Einen weiteren Aspekt beleuchtet Badawia in seinem Artikel, in dem er unter anderem auf Süleyman Ates, einem bekannten zeitgenössischen Korankommentator aus der Türkei verweist, der sich mit Hadithkritik befasst und sagt, dass nur jene Hadithe, welche den Qur’an auslegen und ihm nicht widersprechen, eine Erklärung und Ergänzung des Qur’ans sein können. Die Hadithe stellen selbst aber nicht die Religion dar, da sie erst Jahrhunderte nach dem Tode des Propheten gesammelt wurden. Ates unterzieht die Hadithe also einer inhaltlichen Kritik, indem er sie mit dem Qur’an vergleicht.

Ates steht damit nicht alleine da: Bereits im 12. Jahrhundert hat Fahruddin ar-Razi nicht nur die Überlieferungskette (arab. Isnad), sondern auch den Inhalt (arab. Matn) des Hadith einer Kritik unterzogen und wurde dafür von Traditionalisten sehr stark kritisiert. Ates und andere Gelehrte sind der Ansicht, dass ein Grossteil der Hadithe eher Bildungsstand und Standpunkt des Tradenten reflektieren als die Worte des Propheten.

Alles in allem liefern die Beiträge im ersten Teil des Sammelbandes wichtige Impulse und Grundlagen, welche helfen, die Hadithe im islamisch-theologischen Kontext richtig einzuordnen. Demgegenüber gehen die Beiträge im zweiten Teil etwas konkreter auf die Hadithdidaktik im islamischen Religionsunterricht ein.

Bauknecht verweist in seinem Beitrag auf den Stellenwert von Hadithen im Unterricht. Der Prophet fungiert als Orientierungsfigur für moralische Fragen und die eigene Lebensführung der Schülerinnen und Schüler. Neben vielen Chancen ergeben sich aber auch immer wieder Schwierigkeiten und Stolpersteine, wie z.B. bezüglich der Genderfrage. Bauknecht bemerkt, dass gerade diese einen Mehrwert und Gewinn für die Schülerinnen und Schüler generieren sollten. Dies bedingt aber eine kritische Reflexion von problematischen Hadithen. Dadurch sollen Schülerinnen und Schüler befähigt werden, Mehrperspektivität einzunehmen und historische Zusammenhänge zu erkennen.

Kamçılı -Yildiz fokussiert in ihrem Beitrag auf das, was sie sprachsensibles Arbeiten mit Hadithen nennt, denn die Hadithliteratur ist mit Bildern, Metaphern, Begrifflichkeiten und Vorstellungen aus dem Arabien des 7. und 8. Jahrhunderts gefüllt. Exemplarisch konkretisiert sie das am Beispiel des sogenannten «Dschibril-Hadith». Sie analysiert dessen Sprache auf der Wort-, der Satz- und der Textebene, wobei sie sich an vier sprachlichen Kompetenzbereichen orientiert: «Wissen sprachlich darstellen», «Wissenserwerb sprachlich begleiten», «Wissenserwerb mit anderen sprachlich verhandeln» und «Text- und Sprachkompetenz ausbauen».

Ach Schröter analysiert das «Dschibril-Hadith». Er stellt in seinem Beitrag eine pädagogische Lesart dieses Hadiths vor, welche aufzeigt, was es heissen könnte, pädagogisch-didaktisch mit Hadithen im islamischen Religionsunterricht zu arbeiten, indem er zu jedem Textteil die richtigen Verständnisfragen stellt.

Auch Abdel-Rahman gibt in ihrem Aufsatz ganz konkrete und praktische Hilfestellung, indem sie einen Unterrichtsbaustein im Kontext des sinnorientierten Lesens von Hadith-Texten vorstellt. Ziel ist die Förderung der Deutungs- und Urteilskompetenz der Schülerinnen und Schüler: «Wer bin ich, wer prägt mich, wie soll ich sein, wie möchte ich sein?». Dadurch sollen aktuelle Anforderungen aus ihrer Lebenswelt mit der Nutzung islamischen Quellen­materials in Form von Hadithen verknüpft werden.

Im letzten Teil des Sammelbandes werden schliesslich weiterführende Perspektiven der Hadithdidaktik formuliert und vertieft. Dazu gehören unter anderem die Analyse von Talmud und Hadith als Grundlage der interreligiösen Bildung (Aslan), der Einfluss der fortschreitenden Digitalisierung auf die islamische Theologie (Rehman) oder die Analyse des Religionsunterrichts in deutschen Moscheen mit Fokus auf die Verwendung von Hadithen (Soyhun).

Alles in allem ist der vorliegende Sammelband eine bemerkenswerte Zusammenstellung von interessanten Beiträgen renommierter Fachpersonen zum Thema Hadithdidaktik. Er beleuchtet verschiedene Perspektiven, ist inhaltlich gut strukturiert und bietet eine ausgewogene Mischung aus theoretischen Überlegungen, historischen Hintergründen und praktischen Anwendungen.

Die meisten Beiträge sind einfach zu lesen und zu verstehen. Sie bieten nützliches Hintergrundwissen, sowie eine Vielzahl von Denkanstössen und praktischen Beispielen für den Einsatz von Hadithen im islamischen Religionsunterricht.

Bibliografie

Yaşar Sarıkaya, Martin Rothgangel, Déborah Kathleen Grün, Mehmet Soyhun (Hrsg.): Hadithdidaktik im Diskurs, 2023, Studien zur Islamischen Theologie und Religionspädagogik, Band 6, 314 Seiten, broschiert, 34.90 €, ISBN 978-3-8309-4642-7